Bildung, die in Berührung geht
Meine Tochter hat mir diesen Beitrag eines Freundes geschickt, den ich gerne teile – „Warum ich nie zur Uni gegangen bin“. Er zeigt einmal mehr, dass diese Generation alles andere als faul oder oberflächlich ist, wie gerne behauptet wird. Der Beitrag enthält viele Gedanken, die mich schon lange begleiten. Dass unser Bildungssystem kläglich versagt und wir in der sich wandelnden Gesellschaft dringend neue Ansätze brauchen. Ich selbst habe mein Studium nach drei Semestern abgebrochen, weil ich damals schon den Eindruck hatte, dass andere Wege möglich sein müssten. Ich wurde daraufhin eine Suchende, die letztendlich zum Journalismus fand – auch ohne Studium. Meine Tochter hat die Schule ohne Matura/Abitur verlassen, um ihren eigenen Weg zu gehen. Mögen sie und weitere junge Menschen “die Samen säen, aus denen bald erwächst, was blühen soll”, wie Paul Anouk Leo schreibt.
Hier Auszüge aus seinem Beitrag:
„Ich glaube fest daran, dass wir unsere Bildungssysteme dahingehend umgestalten müssen, dass wir von Grund auf lernen, wie wir von Mensch zu Mensch in Beziehung gehen. In unserer Welt zeigt sich ein erschreckendes Unvermögen, die Begegnung zum Anderen zu verkörpern. Paradoxerweise muss dieses Unvermögen auch die Beziehung des Menschen zu sich selbst meinen, und wir wissen, dass extrem viele Menschen (darunter viele in der Dunkelziffer) ein gestörtes Verhältnis zu sich selbst und/oder zum eigenen Körper haben.
..Andererseits wurden die Curricula europäischer Universitäten immer weiter darauf spezialisiert, auf bestimmte Berufe hin auszubilden. Das ist für eine stabile Arbeitsgesellschaft zu einem gewissen Grade sinnvoll, unter den heute gegebenen Umständen allerdings ist das fatal. Wir haben einen sich rasant verändernden Arbeitsmarkt, in dem sich bereits heute ständig neue Arbeitsfelder erschließen, während ganze Branchen durch die zunehmende Digitalisierung und den Vormarsch der sogenannten Künstlichen Intelligenz zusammenbrechen.
..Arbeitgeber stellen heute immer seltener nach Zertifikaten oder Abschlüssen an, sondern legen zunehmend Wert auf authentische intrinsische Motivation, Anpassungsfähigkeit und die Fähigkeit, Probleme kreativ zu lösen. Das hat - wie besprochen - damit zu tun, dass Universitätsabschlüsse in vielen Branchen an Wert verlieren. Gleichzeitig wächst das Bewusstsein, dass echte Qualifikation weit über formale Bildung hinausgeht. Wer für eine Aufgabe brennt, arbeitet produktiver und engagierter - das wissen heute auch viele Arbeitgeber.
Es ist bittere Realität, dass Arbeit und Freiheit – oder Arbeit und echte Leidenschaft – für viele Menschen in einem unauflösbaren Widerspruch stehen. Dann ist die Antwort simpel: ich mache da nicht mit.
Ich wollte nie zur Uni gehen..Ich wollte nie Bücher lesen, nur um ihre Inhalte in einem aberwitzigen Prüfungsspiel auszuspucken und sogleich wieder zu vergessen. Ich wollte mich nie in einen engen Studiengang zwängen, nur um nach drei oder vier geschlagenen Jahren meines Lebens ein semi-wertvolles Blatt Papier in der Hand zu halten
.. Während die Generationen meiner Großeltern und Eltern noch zur Uni gingen, um sich politisch und weltanschaulich zu bilden, zu verbinden und zu organisieren, haben Universitäten heute nur noch selten politische Schlagkraft. Auch das ist ein Symptom des Mangels an echten Freiräumen, in denen denkende Menschen zusammenkommen. Unsere Universitäten können das nicht mehr bieten.
Ich möchte mich bilden, wie ich es wünsche. Ich will Bildung erfahren, die in Berührung geht mit den Wirklichkeiten, die ich erlebe. Ich will den Impulsen folgen, die ich in mir wahrnehme. Ich möchte spielerisch forschen. Ich will mich führen lassen von meinem Wundern und Staunen. Ich wünsche mir, darin begleitet zu sein, von Männern und Frauen, von Mentoren und Mentorinnen, die bereit sind, ihre Weisheit und ihr Wissen weiterzuschenken.
Der Grund, warum ich nie zur Uni gegangen bin, liegt darin, dass die Zeit reif ist, neue Wege zu gehen… Ich habe die Entscheidung getroffen, einen neuen Bildungsweg zu gehen, um meine individuellen Freiräume zu bewahren und selbstbestimmt gestalten zu können. Bildung ist eine Kunst, insofern der Mensch sich in ihr zum Menschsein bildet. Ich vertraue darauf, dass dieser Weg mir und der Welt dient.
Erst wenn wir neue Wege gehen, geben wir der Möglichkeit Raum, eine neue Welt zu erschaffen. Es wird an uns sein, neue Universitäten zu gründen und in ihnen eine Bildung zu verwirklichen, die den Menschen wirklich dient.“