Frei lernen
„Freilernen oder Unschooling bezeichnet ein vom jungen Menschen selbstgesteuertes Lernen in seinem jeweiligen Lebensumfeld, im Unterschied zum Schulunterricht und zur klassischen Form des Hausunterrichts“, heißt es auf der Homepage des Vereins freilerner.at. Bei dieser Art des Lernens gibt es keinen geplanten Unterricht oder bestimmte Zeiten am Tag, für die schulähnliche Aktivitäten vorgeschrieben sind. Im Wissen, dass Lernen und Bildung immer und überall stattfinden und an keinen Ort und keine Institutionen gebunden sind, erfolgt das Lernen hier nicht durch extrinsische, sondern ausschließlich durch intrinsische Motivation. Der junge Mensch entscheidet selbst, welchen Interessen er wann nachgeht.“
Mit dem Begriff „Freilerner“ sind viele Vorurteile verbunden, die von Schulverweigerung bis zum Vorwurf der Ideologie oder Sekte reichen. Auch wenn es in Österreich gesetzlich nicht vorgesehen ist, wählen zahlreiche Eltern diesen Weg für ihre Kinder. So auch Sigrid Haubenberger-Lamprecht: Ihr Sohn Jonas, heute 18, besuchte nur ein Jahr lang eine Schule, Sohn Elias (15) musste nach einem Beschluss des Jugendamts mit 10 Jahren zur Schule gehen. "Da es sich um eine freie Schule handelte, passte das für beide Söhne gut." Das Gutachten des Jugendamts hatte sich über Jahre hingezogen, der Familie wurde eine Sozialarbeiterin zugewiesen. "Davor wurde ein Antrag auf Entzug der Obsorge gestellt, ohne dass jemand bei uns zuhause gewesen wäre." Ein pädagogisches Gutachten ergab damals, dass Jonas die Defizite in Mathematik nicht aufholen würde. Der heute 18 jährige entschied sich für eine Lehre mit Matura in Mechatronik - mit mathematischen Aufgaben hat er kein Problem.
In Ländern wie Großbritannien und Neuseeland sowie in Teilen der USA und Kanadas ist Freilernen aufgrund von guten Erfahrungen nicht nur erlaubt, sondern wird sogar gefördert.
„Freilernen heißt, in Sinnzusammenhängen zu lernen, weil wir etwas wirklich aktiv wissen bzw. erfahren möchten, und nicht weil irgendwelche Autoritäten meinen, dass wir bestimmte Wissensinhalte in Zukunft vielleicht einmal brauchen werden“, so Haubenberger-Lamprecht. „Menschen haben sehr unterschiedliche Bedürfnisse, auch wenn es darum geht, was, wann, wo und wie sie am besten lernen.“ Über ihre eigenen Kinder sagt die ausgebildete Malort-Dienende: „Die beiden haben keine Angst vor Prüfungen und verknüpfen ein Scheitern dabei nicht mit ihrem Selbstwert.“
Der Verein Freilerner fordert Lernorte, wo Menschen sich freiwillig treffen, um bestimmte Fertigkeiten zu erlernen oder sich mit Themen ihrer Wahl zu beschäftigen. Ein Vorbild dafür ist die Sudbury Valley School im US-Bundesstaat Massachusetts, gegründet im Jahr 1968. Dort entscheiden die Schüler im Alter von vier bis 19 Jahren selbst, was, wann und wie sie lernen oder womit sie ihre Zeit verbringen. Unterrichtskurse im herkömmlichen Sinn kommen nur zustande, wenn Schüler dies ausdrücklich wünschen. Weltweit gibt es etwa 45 „Sudbury-Schulen“, die nach demselben Konzept arbeiten, darunter in den USA, in Japan, Israel, Dänemark oder Deutschland. „Die Angst, dass Kinder, die sich auf diese Art und Weise bilden, nachher nicht im Berufsleben Fuß fassen können, lässt sich ganz klar mit den unzähligen erfolgreichen Absolventen widerlegen“, sagt Sigrid Haubenberger-Lamprecht. „‘Erfolgreich‘ bedeutet übrigens für mich, dass diese Menschen ihre Berufung gefunden haben und davon leben können.“ In Ländern wie Großbritannien und Neuseeland sowie in Teilen der USA und Kanadas ist Freilernen aufgrund von guten Erfahrungen nicht nur erlaubt, sondern wird sogar gefördert.
„Wir dürfen erkennen, dass die Würde der Kinder zu wahren, der erste und entscheidende Schritt zu einem globalen kulturellen Wandel ist“, so Haubenberger-Lamprecht. „Nur Kinder, denen respektvoll begegnet wird, werden in der Lage sein, ein friedvolles Miteinander zu pflegen, einen achtsamen Umgang mit der Erde zu entwickeln und deren Ressourcen nachhaltig zu nutzen.“